Alle Jahre wieder – Brot statt Böller?


Alle Jahre wieder endet das Jahr mit Sylvester, immer mit einem großen Feuerwerk, und jedes Jahr ruft „Brot für die Welt“, das Hilfswerk der evangelischen Kirche zur Aktion „Brot statt Böller“ auf. Die EKD schließt damit jedes Jahr mit einem erhobenen moralischen Zeigefinger ab. Ist das gerechtfertigt? Wie in vielen Fragen des Lebens hilft Mathe weiter…


Suchen wir zunächst einmal eine typische Stellungnahme der EKD heraus, z.B. indem wir nach „site:ekd.de Brot statt Böller“ googeln, so dass wir nur Ergebnisse vom deren Webserver ekd.de bekommen.

Wir finden dann z.B. diese hier von 2007
http://www.ekd.de/aktuell/57102.html (jetz tvia archive.org)

Nur an den letzten drei Arbeitstagen eines Jahres dürfen Böller, Raketen und Feuerwerkskörper überhaupt verkauft werden, doch in diesen wenigen Tagen wird damit ein überzeugender Umsatz erzielt: Für viele Menschen ist es langjährige Tradition, mit lautem Geknalle und künstlichen Sternen am Himmel das alte Jahr zu verabschieden und das neue Jahr zu begrüßen. So werden die etwa 100 Millionen Euro, die an den letzten drei Arbeitstagen für Feuerwerkskörper von vielen ausgegeben wird, in den ersten Minuten des Neuen Jahres buchstäblich in den Himmel verballert.

und weiter

So zuverlässig, wie zum Jahreswechsel für drei Tage Feuerwerkskörper verkauft werden, so zuverlässig ruft seit über 25 Jahren „Brot für die Welt“ unter dem Motto „Brot statt Böller“ dazu auf, einen Teil der Summe, die für Böller in der Sylvesternacht investiert werden, für Entwicklungshilfeprojekte zu spenden. Mit Feuerwerk im Wert von 98 Millionen Euro sei am vergangenen Jahreswechsel in Deutschland das neue Jahr begrüßt worden. Dies entspreche im Wert etwa 45 Millionen Broten, rechnet die Pressestelle des Entwicklungshilfewerkes der evangelischen Kirche um. Die evangelische Hilfsaktion bittet darum, einen Teil dieser Summe für ihre Projektarbeit zu spenden.

Die aktuelle Böllerzahl für 2011 ist übrigens noch etwas höher, 110 Mio EUR stand dieses Jahr in der Presse. Auf den ersten Blick riecht das nach einer enormen Verschwendung. Der mathematische Fehler, der hier gemacht wird, ist typisch, wenn in der Presse große Zahlen gehandelt werden: es wird vergessen zu berücksichtigen, was die Bezugsgröße ist. Holen wir das doch mal nach und werfen wir den Taschenrechner an:

  • Deutschland hat rund 82 Mio Einwohner
  • Diese haben zusammen für 110 Millionen geböllert
  • Das sind pro Person 1,34 EUR

Ist das viel? Man kann wohl davon ausgehen, dass selbst für ein durchschnittliches Sylvesterabendessen mehr Geld ausgegeben wird.

Man könnte das Geld alternativ auch mal mit dem Bruttosozialprodukt vergleichen:
Für 2010 meldet das statistische Bundesamt ein Bruttoinlandprodukt von 2472 Mrd Euro. Ein Sylvesterfeuerwerk von 110 Mio EUR hat daran einen Anteil von gerade einmal
0,004 Prozent. Da ist wohl die Bezeichnung Peanuts angemessen.

Falsch ist auch die Darstellung der EKD, das Geld werde „buchstäblich in den Himmel verballert“, was ja unterstellt, dass man für das Geld nichts bekäme. Hierbei fällt das Feuerwerk, das man für dieses Geld bekommt, gänzlich unter den Tisch. Wir wohnen derzeit im achten Stock eines Hochhauses und letzte Nacht sind ganz viele Feuerwerke auf Höhe unseres Wohnzimmers explodiert. Das war richtig schön, und das ganze pro Person für im Schnitt nur 1,34 EUR. Das funktioniert deshalb, weil man ja nicht nur etwas von den eigenen Feuerwerken hat, sondern auch von denen der Nachbarn, ein wichtiger Synergieeffekt eines gemeinsamen Feuerwerks, alle in der selben Nacht.

Unseren Kindern haben die eigenen Knaller großen Spaß gemacht. Auch hier lohnt sich ein Vergleich mit anderen Attraktionen: Hagenbecks Tierpark kostet uns bei drei zahlenden Kindern über 60 EUR. Sylvester ist damit ein ausgesprochen günstiges Vergnügen.

Für wenig tragfähig halte ich auch den Vergleich mit den 45 Mio Broten, die man für 100 Mio EUR bekommen könnte. Auch hier liegt wieder der häufige Fehlschluss vor, dies nicht auf die ebenfalls große Zahl der Beteiligten (hier zum einen Geber, zum anderen Bedürftige) zu beziehen. Bei 82 Mio Einwohnern ist das pro Geber und Jahr gerade mal ein halbes Brot. Wenn man das stattdessen auf die Armen der ganzen Welt bezieht (das auszurechnen überlasse ich als Übung dem Leser), dann wird deutlich, dass man damit mit dem Verzicht auf „einen Teil dieser Summe“ an der Armut der Welt nichts grundlegendes ändern kann. (Übung zwei: Abschätzen, was am Ende herauskommt, wenn jeder Beteiligte z.B. zehn Prozent gibt. Das verschlechtert das Ergebnis noch einmal erheblich.)

Fazit:
In Summe halte ich „Brot statt Böller“ für eine nutzlose Einrichtung. Sie leistet dem verbreiteten Missverständnis Vorschub, dass Gott uns nichts gönnt. Einen hilfreichen Beitrag zu einem positiven Bild von Kirche und Gemeinde vermag ich da nicht zu erkennen. Stattdessen wird vor allem den Menschen ein schlechtes Gewissen gemacht.

Was wäre besser?
Werfen wir doch einmal einen Blick auf einen Umsatz, den es auch jedes Jahr gibt, und das fast zur selben Jahreszeit, nur eine Woche früher: Weihnachten. Die Zahlen für 2010 aus dem Focus:
Demnach wurde 2010 insgesamt 14 Mrd EUR für Weihnachtsgeschenke ausgegeben, das sind 171 EUR pro Person. Das ist eine ganz andere Größenordnung als das Sylvesterfeuerwerk. Ich denke auch, dass die Bereitschaft zu teilen zu Weihnachten größer ist. Wie wäre es also mit „Weihnachten für alle“? Mit einer positiven Aktion, die nicht mit dem moralischen Zeigefinger kommt, sondern die mit Weihnachten, mit der Geburt des Erlösers argumentiert, der für alle Menschen gekommen ist. Für so etwas sollte man werben, und solche Aktionen gibt es übrigens schon, nur ohne den Werbeeffekt, dass sich die EKD dahinter stellt. Was sollte man auch bei freikirchlichen Initiativen anderes erwarten.

Am Rande: ich spende schon seit vielen Jahren im Dezember für die Afghanistanhilfe vom Nehemia-Hilfswerk, ganz ohne dass da jemand mit schlechtem Gewissen dafür Werbung machen müsste, und zwar deutlich mehr als für unser Sylvesterfeuerwerk.

Neujahr 2012
Heiko Evermann

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