Wie groß sind die Unterschiede?
Auf der Website von Bibel Query findet sich eine relativ detaillierte Aufstellung. Danach sind von 133.892 Wörtern des griechischen Texts des Neuen Testaments nur 3599 strittig. Das heißt:
97,3% des griechischen Texts sind unstrittig
und 2,7% des griechischen Texts sind von den Manuskriptvariationen betroffen.
Die Vertreter von Nestle-Aland behaupten nun gerne die Unterschiede seien ohnehin nicht groß. Und wenn mal irgendwo ein ganzer Vers fehle, dann gäbe es ja auch andere Bibelstellen, die dieselbe Aussage enthielten.
Ich sehe das nicht ganz so. Neben vielen unerheblichen Unterschieden (z.B. „Jesus Christus“ statt „Christus Jesus“) bin ich unter den Versen und Versteilen, die vom Textus Receptus zu Nestle-Aland (NA27) weggefallen sind, auf eine Reihe von Unterschieden gestoßen, die ich für relevant halte. In der Regel ist es dabei so, dass in NA27 im Vergleich zum TR etwas fehlt. Wenn es sich tatsächlich so verhielte, dass diese Passagen im Original enthalten waren (was ich leider immer noch nicht so recht weiß), so wäre das schon ein Verlust. Überhaupt glaube ich, dass man keinen Teil der Bibel wegnehmen kann, ohne damit Schaden anzurichten. Ein eindrückliches Beispiel hiervon ist der Stammbaum Jesu aus Matthäus 1, der in allen Bibeln enthalten ist, und der von der Textus-Receptus-Diskussion auch nicht betroffen ist. Wir machen uns ja heute wenig aus Stammbäumen. Würde es etwas ausmachen, wenn dieser Stammbaum mit für uns „unwichtigen“ Informationen in der Bibel fehlen würde?
Eine Gruppe von Missionaren unter einer Volksgruppe in Papua-Neuguinea hat erfahren, dass dieser Stammbaum wichtig war. Sie hatten jahrelang unter dieser Volksgruppe gearbeitet, aber niemand hatte sich für Jesus entschieden. Sie hatten auch schon fast das ganze Neue Testament übersetzt, niemand bekehrte sich. Zuletzt übersetzten sie Matthäus 1, ihrer Meinung nach der am wenigsten wichtige Abschnitt des NT. Was geschah: der ganze Stamm bekehrte sich zu Jesus. Der Häuptling des Stamms erklärte den erstaunten Missionaren: „seht euch doch seine Herkunft an: er muss wirklich so wichtig sein, wie ihr es behauptet.“
Ein Beispiel für einen wichtigen Unterschied
Eine für mich bedeutsame Passage ist Apostelgeschichte 8: Philippus hatte dem Kämmerer aus Äthiopien das Evangelium von Jesus Christus erklärt. In Apostelgeschichte 8,35-38 wird nun die folgende Begebenheit geschildert:
Apg 8,36 Als sie aber auf dem Weg weiterzogen, kamen sie zu einem Wasser, und der Kämmerer sprach: Siehe, hier ist Wasser! Was hindert mich, getauft zu werden?
Apg 8,37 Da sprach Philippus: Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so ist es erlaubt! Er antwortete und sprach: Ich glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist!
Apg 8,38 Und er ließ den Wagen anhalten, und sie stiegen beide in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn.
Apg 8,39 Als sie aber aus dem Wasser heraufgestiegen waren, entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; denn er zog voll Freude seines Weges.
Der Mehrheitstext enthält auch den Vers 37. Nestle-Aland enthält ihn nicht und so fehlt der fett markierte Teil in den meisten neueren Übersetzungen.
Ein Mensch will hier getauft werden, und fragt, ob das möglich ist. Philippus sagt ihm nun: wenn Du glaubst, dann ist das möglich. Anders herum: wenn Du nicht glaubst, ist das nicht möglich.
Ich kann mich noch gut an eine Diskussion im Jugendkreis meiner damaligen landeskirchlichen Gemeinde erinnern. Einer aus dieser Gruppe hatte sich in einer anderen Gemeinde großtaufen lassen und es kam zu einer großen Diskussion um die Frage, ob man Kinder überhaupt taufen kann. Er wies mich auf Apg 8,37 hin und meinte, man könne das nicht. Grundvoraussetzung zur Taufe sei nach Apg 8,37 der persönliche Glaube des Täuflings. In meiner Lutherbibel (Version von 1984) stand der Vers aber nur als Randbemerkung und nicht im Haupttext und er war mit folgender Einleitung versehen:
Vers 37 findet sich erst in der späteren Überlieferung.
Und so ließ ich Apg 8,37 als Argument gegen die Kindertaufe nicht gelten. Ich habe erst viele Jahre später und aus anderen Bibelstellen verstanden, dass man keine Kinder (eigentlich: Babys) taufen kann und mein Weg dahin war mühsam. Wenn dieser Vers in meiner Bibel dringewesen wäre, wäre das Thema schon damals für mich abschließend geklärt gewesen. Philippus sagt hier: ohne Glaube keine Taufe.