Bethlehem im Dezember

Hirte mit Schafen

Hirte mit Schafen(Mehr zum Thema Zeugen Jehovas und Weihnachten hier.)

Zu den Standardargumenten des Wachtturms gehört, dass das Jesus nicht im Dezember geboren sein kann, denn im Dezember gäbe es keine Schafe auf der Weide.

 

Ein Beispiel:

Unter dem überschrift „Ist Weihnachten eine biblisch begründete Feier?“ wird in „Unterredungen anhand der Schriften“ (Seite 153) zunächst festgestellt, dass die Bibel nichts über den Geburtstermin von Jesus sagt. Danach heißt es:

Lukas 2:8-11 zeigt, daß die Hirten zur Zeit der Geburt Jesu nachts auf den Feldern waren. In dem Buch Er kam in sein Eigentum heißt es: „Die Herden . . . verbrachten den Winter in Schafställen, und diese Einzelheit genügt, um zu beweisen, daß unser vertrautes Weihnachtsdatum im Winter kaum richtig sein kann, denn das Evangelium sagt uns, daß die Hirten auf dem Felde waren“ (Henri Daniel-Rops, Stuttgart 1963, S. 226).

Die Meinung, im Dezember seien keine Hirten auf dem Feld zieht sich immer wieder durch die weihnachtskritische Literatur. Ich habe dafür bisher aber keinen wirklichen Beweis gesehen, insbesondere keinen Bibelvers der sich so äußert. Mein Eindruck ist, ein Buch zitiert das andere, das wieder einen anderen Autor zitiert, der gesagt hat, im Dezember gäbe es in Bethlehem keine Schafe auf der Weide. Wirkliche Argumente dafür sind in diesem Zitat nicht enthalten. Das Zitat besagt ja nur, dass die Schafe im Winter im Stall seien.

Es wird folgender Eindruck erweckt:

  • Im Dezember ist Winter.
  • Im Winter ist es kalt.
  • Schafe brauchen es warm.
  • Daher gibt es in Bethlehem im Dezember keine Schafe auf dem Feld.
  • Die Bibel berichtet von Hirten, die zur Zeit der Geburt Jesu auf den Feldern waren.
  • Daher ist Jesus nicht im Dezember geboren worden.

Ist diese Argumentation schlüssig?

Wie ist das Wetter in Bethlehem im Dezember wirklich?

Verschaffen wir uns doch zunächst einmal einen Überblick über die Wetterlage von Bethlehem im Dezember: In Bethlehem ist es deutlich wärmer als bei uns. Die folgende Grafik zeigt die Wettervorhersage von CNN für Bethlehem vom 21.12.01 (Freitag) bis zum 25.12.01 (Dienstag), also für Weihnachten 2001.

 Wettervorhersage Bethlehem vom 21.12.2001
Wettervorhersage Bethlehem vom 21.12.2001

Ein paar Tage später habe ich eine weitere Stichprobe gemacht. Das hier ist die Wettervorhersage für Bethlehem vom 30.12.01 (Sonntag) bis 3.1.02 (Donnerstag).

 Wettervorhersage Bethlehem vom 30.12.2001
Wettervorhersage Bethlehem vom 30.12.2001

Man sieht Tageshöchsttemperaturen bis 19 Grad. Alle Nächte waren frostfrei. Man beachte: auch Regen war in diesen Tagen nicht dabei. Und Schnee erst recht nicht. Zum Teil sank die Temperatur nachts nicht unter 8 Grad. Das sind für deutsche Verhältnisse frühlingshafte Temperaturen. Schafe sind bei uns im Frühling bei solchen Temperaturen auf der Weide.

An anderer Stelle schreiben die Zeugen Jehovas („Bewahrt euch in Gottes Liebe“, Kapitel 13 Absatz 5):

„Da es dort im Dezember aber kalt ist, regnet und schneit, hielt man die Schafe den Winter über im Stall.“

Auch das passt nicht zur beobachteten Realität heutiger Wetterberichte. Hier findet sich ein mehrjähriger Durchschnitt des Wetters in Bethlehem. Im langjährigen Durchschnitt sind zu erwarten: 11 Tage mit Regen (man vergleiche das einmal mit norddeutschem Wetter!!!!) und 1 Tag mit Schnee. Das macht: 19 Sonnentage im Dezember. Wie kalt oder warm es in einem konkreten Jahr tatsächlich ist, hängt vom Einzelfall ab. 2001 waren die Temperaturen jedenfalls nett. Warum sollte es im Geburtsjahr von Jesus nicht auch so gewesen sein?

Übrigens gibt es hier ein Foto eines Hirten aus der Zeit zu Anfang des 20. Jahrhunderts, ein Bedouine, samt Schaf auf dem Feld. Keine Spur davon, dass die Schafe im Winter den ganzen Tag im Stall bleiben mussten.

Sind Schafe winterfest?

Als zweites könnte man fragen, was für Wetter Schafe auf der Weide vertragen, und bei welchem Wetter man Schafe lieber in den Stall bringt. Es könnte ja sein, daß wir uns als mitteleuropäische Stadtmenschen von Schafen falsche Vorstellungen machen. Den folgenden Text habe ich auf einer Webseite gefunden die sich mit Aspekten der Schafzucht in Entwicklungsländern beschäftigt:

Mit der Anmerkung „Schafe sind sehr gut geeignet für Winterweide in frostigen Gegenden“ wird dort Hofmann, Heini: Die Tiere auf dem Schweizer Bauernhof. — 3. Aufl. — Aarau : AT, 1985. — ISBN 3855021678. — S. 156 zitiert:

Schafe mögen gefrorenes Gras. Als Winterweiden sind fette und magere Wiesen geeignet. Von dem Moment an, da Reif und Frost die Weiden im Flachland fürs Großvieh unbenützbar machen, liegen diese für die Bauern bis zum Erwachen der Vegetation im Frühjahr brach. Schafe aber sind winterharte Tiere, die gefrorenes Gras mögen und dieses dem nassen sogar vorziehen, die bei kalter Witterung mehr fressen (was für die Mast wiederum von Vorteil ist) und die sogar in der Lage sind, das Futter unter dem Schnee hervorzuscharren, solange die Schneedecke nicht hartgefroren ist. Die geeigneten Weiden für Wanderschafherden finden wir daher in den tieferen Lagen des Mittellandes und hier wiederum in den milden Zonen entlang von Seen und Flüssen. Pseudotierschützer, die Wanderschafherden als Tierquälerei verdammen, übertragen im Trugschluss der Vermenschlichung ihre eigene Verweichlichung auf Geschöpfe, die von Natur aus für das Leben in der Kälte geschaffen sind.

Und auf einer Seite, die sich mit der Schafhaltung im Hunsrück in Deutschland befasst, heißt es:Braucht man einen Stall ?

Wir meinen: ja. Obwohl wir eine Landrasse, die Fuchsschafe, halten, haben wir soviel Stallfläche zur Verfügung, daß im Notfall alle Tiere im Stall untergebracht werden könnten. Wir halten hier auf dem Hunsrück die Jährlinge (das sind die jungen, ungedeckten Muttertiere) und die Jung- und Altböcke im Normalfall das ganze Jahr auf der Weide; nur mit einem Unterstand oder schützenden Hecken. Trotzdem kann es durch besonders schlimme Witterung dazu kommen, daß alle Tiere im Stall besser aufgehoben sind. Wenn Sie in einer Region leben, in der wochenlang hoher Schnee liegt oder eine der weniger robusten Rassen halten, ist die winterliche Stallhaltung natürlich obligatorisch.

Was folgt daraus?

Von einzelnen schwächeren Rassen abgesehen sind Schafe robuste Tiere, die auch ein Stück weit Frost vertragen. Nur dann, wenn das Wetter gar zu schlecht wird, sind sie im Stall besser aufgehoben. Dies ist in Bethlehem deutlich seltener der Fall als bei uns in Deutschland, denn das Klima ist dort ein ganzes Stück wärmer als bei uns. Mit anderen Worten: Schafwolle hält warm. Es hat seinen guten Grund, wenn Menschen im Winter gestrickte Wollpullis aus dem Schrank holen, bevor sie vor die Haustür gehen.

Für die Geburt Jesu können wir nur festhalten, dass uns die Evangelien keinen Tag nennen. Aber die Hirten auf dem Feld sind kein Argument gegen Weihnachten im Dezember.

(Mehr zum Thema Zeugen Jehovas und Weihnachten hier.)