Das Schöpfungsbuch der Zeugen Jehovas (“Das Leben — Wie ist es entstanden? Durch Evolution oder durch Schöpfung?”, 1985) zitiert dreimal aus einem Buch von David Attenborough. Zwei dieser Zitate sind sinnentstellend.
Das Kapitel 6 des Schöpfungsbuchs („Riesige Klüfte — Kann die Evolution sie überbrücken?“) beschäftigt sich mit der Frage, wie weit sich Lebewesen durch die Evolution verändern können. Hier geht es um die sprichwörtlichen „missing links“, also um das Problem, dass es im Fossilbefund an brauchbaren Übergangsformen mangelt.
Eine dieser problematischen Lücken ist der der Übergang von den Fischen zu den Amphibien.
Der problematische Abschnitt im Schöpfungsbuch
In Absatz 6 heißt es (Hervorhebungen von mir):
6 Man hat große Anstrengungen unternommen, um zwischen Amphibien und bestimmten Fischen eine Verbindung herzustellen, aber ohne Erfolg. Der Lungenfisch galt als Paradebeispiel, da er anstelle der Kiemen die Schwimmblase zum Atmen benutzen kann, wenn er sich vorübergehend außerhalb des Wassers befindet. In dem Buch Die Fische wird gesagt: „Weil die Lungenfische echte Lungen haben . . ., liegt die Vermutung nahe, sie könnten eine direkte Verbindung zu den Amphibien haben, die dann zu echten Landtieren führten. Das stimmt aber nicht, sie sind eine Gruppe für sich.“4 Sowohl der Lungenfisch als auch der Hohlstachler scheiden nach David Attenborough aus, „weil ihre Schädelknochen sich so stark von denen der ersten fossilen Amphibien unterscheiden, daß diese nicht von ihnen abstammen können“.5
Die Fußnote 5 verweist auf „David Attenborough, Das Leben auf der Erde. 1979, S. 137.“
Das Original von Attenborough
Hat Attenborough sich hier tatsächlich gegen die Evolutionslehre gewandt? Der zitierte Satz hat folgenden Kontext:
In Afrika kommen vier verschiedene Lungenfischarten vor, eine andere in Australien und eine weitere in Südamerika. Vor 350 Millionen Jahren waren sie indes viel weiter verbreitet, und man findet ihre Fossilien häufig zusammen mit denen von Coelacanthiden. Diese beiden Fischtypen besaßen die wesentlichen Fähigkeiten, die für die vorzeitlichen Fische, die das Land entdeckten, erforderlich gewesen sein müssen. Aber keiner von ihnen kann als derjenige bezeichnet werden, dessen Nachkommen auf Dauer das Land besiedelten. Beide Fischtypen, Lungenfische wie auch Coelacanthiden scheiden aber aus, weil ihre Schädelknochen sich so stark von denen der ersten Amphibien unterscheiden, daß diese nicht von ihnen abstammen können.
Es gibt aber noch einen dritten Fisch, der in den Ablagerungen dieser frühen und kritischen Periode gefunden wurde. Er gehört zur selben großen Gruppe wie die Coelacanthiden und die Lungenfische. Er hat gliedmaßenähnliche Flossen mit einem muskulösen Stamm, denn er ist ebenfalls ein Quastenflosser. Wahrscheinlich hatte er wie die Lungenfische zur Luftatmung geeignete Darmtaschen. Sein Schädel jedoch zeigt das entscheidende Merkmal, das weder Coelacanthus noch Lungenfische aufweisen, nämlich die Verbindung der Nasenhöhlen mit der Mundhöhle. Alle Landwirbeltiere besitzen diese Verbindung, und das bestätigt die nahe Verwandtschaft dieser Fische mit deren Vorfahren.
Dieses Wesen trägt den Namen Eusthenopteron…“
Anmerkung: im Schöpfungsbuch steht auf Deutsch „Hohlstachler“, bei Attenborough steht auf Deutsch „Coelacanthiden“. Beides bezieht sich aber auf dasselbe Lebewesen.
Analyse der Argumentation
Die Coelacantiden werden oft als Übergangsglied zwischen den Fischen und den Amphibien genannt. Nun befragen die Zeugen Jehovas den Naturfilmer Attenborough und dieser sagt: nein, die Coelacanthiden (die es ja auch heute noch gibt) sind nicht das Zwischenglied. Hier endet das Zitat. Was im Schöpfungsbericht nicht mehr abgedruckt wurde: Attenborough sagt: es ist vielmehr so, dass es einen nahen Verwandten der Coelacanthiden gibt, der heißt Eusthenopteron und der gehört AUCH zur Gruppe der Quastenflosser. Er ist schon vor langer Zeit ausgestorben, man kann aber den Schädel anhand der Fossilien gut untersuchen. Und Attenborough meint nun: der Eusthenopteron passt, und deshalb wäre dieser das Übergangsglied zwischen Fischen und Amphibien.
Das heißt: das Schöpfungsbuch bringt Attenborough GEGEN den von der Evolution behaupteten Übergang zwischen Fischen und Amphibien in Stellung. Dabei nennt Attenborough konkret diejenige Spezies aus der Gruppe der Quastenflosser, die seiner Meinung nach eben diesen Übergang bildet. Das Schöpfungsbuch erweckt also den Eindruck, als würde der zitierte Autor das Gegenteil dessen sagen, was er tatsächlich vertritt.
Das ist unredlich.
Dieses Zitat der Wachtturmgesellschaft ist unredlich. Und zwar unabhängig von der Frage, ob man glaubt, daß das Leben durch Evolution oder durch Schöpfung entstanden ist.
Mehr zu problematischen Zitaten in der Wachtturmliteratur hier.
Bildnachweis: Coelacanth, Public Domain