Die Dreieinigkeitsbroschüre der Zeugen Jehovas („Sollte man an die Dreieinigkeit glauben“, 1989) führt Theologen anderer Konfessionen an, um die Ansichten des Wachtturms zu stützen. Dabei ist eine ganze Reihe von Zitaten missbräuchlich. Zweimal wird „A Dictionary of Religious Knowledge“ zitiert.
Was ist das Dictionary of Religious Knowledge?
Der Autor dieses Nachschlagewerks ist Lyman Abbot (1835-1922). Sein Buch „A Dictionary of Religous Knowledge“ ist 1875 erschienen. Die Dreieinigkeitsbroschüre ist von 1989. Das allein wirft Fragen auf. Warum wird aus einem Buch zitiert, das damals schon 114 Jahre alt war?
Wenn man nach diesem Buch googelt, dann findet man nicht viel darüber. Und das, was man findet, sind typischerweise genau die kurzen Ausschnitte aus der Dreieinigkeitsbroschüre. Zu den Standardlexika der Kirchengeschichte scheint es jedenfalls nicht zu gehören. Musste man wirklich so weit laufen, um Zitate gegen die Dreieinigkeit zu finden?
Was sagt Abbot nun genau?
Die Broschüre zitiert Abbot so:
Unter der Überschift „Für Menschen unbegreiflich“ heißt es auf Seite 4:
In dem Werk A Dictionary of Religious Knowledge heißt es: „Was diese Lehre ist oder genauer gesagt, wie sie zu erklären ist, darüber sind sich die Trinitarier selbst nicht einig.“
Und unter der Überschrift „woher der Einfluß kam“ heißt es auf Seite 11:
Das Werk A Dictionary of Religious Knowledge bemerkt, daß viele sagen: „Die Trinität ist auf den verderblichen Einfluß der heidnischen Religionen zurückzuführen und wurde auf den christlichen Glauben aufgepfropft.“
Man gewinnt den Eindruck, dass sogar die Lexika feststellen
- die Vertreter der Dreieinigkeitslehre wüssten selbst nicht so genau, was diese Lehre besagt und
- wäre klar und offensichtlich, dass diese Lehre nicht aus der Bibel stamme, sondern vielmehr von Heiden abgeschrieben ist.
Das Lexikon ist hier online zu finden.
Das Original von Abbot
Der Artikel „Trinitarians“ findet sich im englischen Original auf Seite 944. Es lohnt sich, den Abschnitt genau zu lesen. Der Ausschnitt der Broschüre ist farblich hinterlegt. Andere wichtige Passagen, die nicht zitiert wurden, habe ich fett markiert. Die Deutsche Übersetzung ist von mir.
Nach einem kurzen Vorwort führt Abbot zunächst aus, wie es überhaupt zur Formulierung der Dreieinigkeitslehre kam, und warum dies erst im vierten Jahrhundert geschah.
In den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche waren die Nachfolger Christi so sehr mit der Auseinandersetzung mit der heidnischen Welt einerseits und mit der jüdischen Welt andererseits beschäftigt, dass sie sehr wenig Zeit oder Gedanken darauf verwendeten zu versuchen, ihren Glauben zu einem konsistenten und harmonischen System zusammenzusetzen. Es ist jedoch sicher, dass sie von der apostolischen Zeit an den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist anbeteten, ihre Gebete an sie richteten und sie in ihre Lobgesänge einschlossen. Erst ab dem Beginn des vierten Jahrhunderts wurde begonnen, die Frage ausführlich zu diskutieren, wie diese Praxis, und die Glaubenserfahrung, aus der diese entsprang, in eine Lehre geformt werden sollte, und wie sie sich mit dem Glauben der Kirche an den Einen Gott in Einklang bringen ließe. Aus dem Bestreben, dieses Problem zu lösen, entsprang die Lehre von der Dreieinigkeit.Was diese Lehre genau ist, oder vielmehr wie man sie genau erklären kann, darin sind sich die Trinitarier untereinander nicht einig.
Abbot führt dann verschiedene Minderheitenmeinungen aus (Sabellianer, etc.), die aufzulisten an dieser Stelle zu weit führt und schreibt dann:
Wir denken jedoch, insgesamt, lässt sich die häufigste Sicht der heutigen Trinitarier wie folgt darstellen: Es ist dem menschlichen Intellekt nicht möglich, die göttliche Natur vollständig zu verstehen. Die Bibel stellt uns Gott dar als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Sie stellt sie alle gleichermaßen dar als anspruchsberechtigt auf unsere höchste Verehrung, Zuneigung und Loyalität. Sie schreibt allen dieselben göttlichen Eigenschaften zu. Sie verwendet diese Titel zuweilen sogar austauschbar. (z.B. Joh 14:17,18; Röm 8:9) Wir müssen die Lehre der Schrift hinsichtlich ihrer Beziehung zu uns ehrfürchtig annehmen, und ihnen gleiche Ehre und gleichermaßen Gehorsam erweisen, während wir die Beziehung, in der sie zueinander in der ewigen Gottheit stehen, bei den ungelösten und unlösbaren Geheimnissen des göttlichen Wesens belassen – bei den verborgenen Dingen, die Gott gehören.
Als letztes befasst sich Abbot noch mit Frage nach einer heidnischen Vorlage zur Trinität:
Es ist ein kurioses Faktum, dass sich einige Spuren des Glaubens an die Dreieinigkeit in den meisten heidnischen Völkern finden lassen. … Aus dieser Tatsache ziehen jedoch die Trinitarier und ihre Gegner sehr gegensätzliche Schlüsse. Die einen sehen darin einen Beweis, dass Gott „den Beweis dieser Lehre durch die aufeinanderfolgenden Zeitperioden verbreitet und aufrechterhalten hat“ während ihre Gegner schließen, dass sie eine Verfälschung sei, die von den heidnischen Religionen entlehnt und in den christlichen Glauben eingepfropft sei.
Das ist Zitatmissbrauch
Das, was die Dreieinigkeitsbroschüre hier mit dem Text von Abbot macht, ist krasser Zitatmissbrauch.
Erstens wird der Eindruck erweckt, Abbot würde behaupten, die Trinitarier wüssten selbst nicht so genau, was sie glauben. Dabei führt Abbot umfassend aus, dass es Minderheitenmeinungen dazu gibt. Dem stellt er eine Mehrheitsansicht zur Dreieinigkeit gegenüber, die heute am weitesten verbreitet ist. (Im Englischen: „the view of modern Trinitarians most current“, mit current (siehe Wiktionary) zu verstehen als „Generally accepted, used, practiced, or prevalent at the moment“.) Die Sicht, die er hier schildert, ist die seit Jahrhunderten geltende gemeinsame, „orthodoxe“, traditionelle Sicht der christlichen Kirchen. Von Zersplitterung und Unwissen keine Spur. Die hier genannten Minderheitsmeinungen sind übrigens solche, die von christlichen Konzilen schon vor Jahrhunderten verworfen wurden.
Zweitens wird bei der Frage nach „heidnischen Vorbildern“ gegen den Wortsinn zitiert. Die Broschüre der Zeugen Jehovas behauptet, Abbot würde bemerken, „daß viele sagen“, die Dreeinigkeit würde auf den Einfluss heidnischer Religionen zurückgehen. Von „viele“ steht aber bei Abbot nichts. Es referenziert nur die Ansicht der Kritiker. Wie viele das sind, sagt er nicht. Viele können es aber allein schon deshalb nicht sein, weil er ja oben schon ausgeführt hat, dass die häufigste Sicht innerhalb der Kirche eine ganz andere ist, nämlich die traditionelle Sicht der christlichen Kirche.
Drittens ist der gesamte Text von Abbot voll von Aussagen, die den Thesen der Dreieinigkeitsbroschüre eklatant widersprechen. Abbot sagt z.B. klar und deutlich, dass der Sohn und der Heilige Geist schon zur Zeit der Apostel angebetet wurden.
Fazit
Die Dreieinigkeitsbroschüre zitiert Abbot zu Unrecht. Sie hat das Zitat so zurechtgeschnitten, dass es das Gegenteil von dem aussagt, was Abbot im Gesamtzusammenhang gesagt hat.
Mehr zu missbräuchlichen Zitaten der Wachtturmliteratur im Allgemeinen und zu den Zitaten aus der Dreieinigkeitsbroschüre im Besonderen hier.